REPORT MAINZ recherchiert Überlastung der Jugendämter
Dass der Kinderschutz aufgrund schlechter Rahmenbedingungen nicht mehr sicher gewährleistet werden kann, betrifft alle – und erfordert eine gesellschaftliche Debatte über die Relevanz der Problematik.
Eine Umfrage des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ unter 600 Jugendämtern bundesweit fördert zutage, was Expert*innen und Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe schon lange bewusst ist: In vielen Jugendämtern herrscht Personalmangel und Mitarbeitende kämpfen mit Überlastung. 80 Prozent der rückmeldenden Ämter räumten ein, dass Mitarbeitende des Allgemeinen Sozialen Dienstes überlastet seien. Fast jede vierte antwortende Behörde gab an, dass hieraus im vergangenen Jahr konkrete Gefährdungslagen für Kinder und Jugendliche entstanden.
Auf Seiten der Caritas-Einrichtungen der Jugendhilfe wird zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Hilfeplangespräche nicht oder nicht im notwendigen Umfang stattfinden können. Der notwendige Prozess zur Begleitung der betroffenen Kinder und Jugendlichen kann also nicht angemessen stattfinden bzw. weiterentwickelt werden.
Zusätzlich legt die Recherche von REPORT MAINZ offen, dass 24 Prozent der Antwortenden im vergangenen Jahr gefährdete Kinder in Notunterkünften außerhalb der Kinder- und Jugendhilfe unterbrachten: Diese mussten z.B. in Räumlichkeiten des Jugendamtes übernachten, wurden bei Privatpersonen untergebracht – oder vom Mitarbeitenden mit nach Hause genommen, um einen sicheren Übernachtungsplatz zu haben. Die hierfür eigentlich benötigten Inobhutnahme-Plätze sind vielerorten zu knapp, um den Bedarf abdecken zu können. Die Caritas-Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind äußerst bemüht, diese Plätze zur Verfügung zu stellen; doch wird auch auf der Seite der freien Träger mit größten Herausforderungen gekämpft: Allem voran stellen die Refinanzierung und die gestiegenen Kosten ein großes Problem dar; und auch der Fachkräftemangel macht sich hier genauso fatal bemerkbar. „Letztendlich sitzen wir mit den Jugendämtern im gleichen Boot und es fehlen Ruderer auf beiden Seiten, um die Kinder- und Jugendhilfe und den Kinderschutz voranzubringen“, fasst Erich Staudenmaier, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Dienste und Einrichtungen für Erziehungshilfen (AGE) in der Diözese Rottenburg-Stuttgart, zusammen. Der gesetzliche Anspruch beispielsweise des SGB VIII kollidiere zunehmend mit der Realität: Ist bereits die Sicherstellung des grundlegenden Kinderschutzes immer schwerer umsetzbar, so werden zusätzlich weitere strukturelle Anforderungen an die Einrichtungen und Träger der Kinder- und Jugendhilfe gestellt, wie beispielsweise die Einführung einer inklusiven Jugendhilfe, die Stärkung partizipativer Strukturen oder verschärfte Arbeitssicherheitserfordernisse – alles sinnvolle Vorhaben und Aufgaben, die jedoch ebenfalls Hürden mit sich bringen und Ressourcen binden.
Es kann also nur begrüßt werden, wenn durch die jüngste Veröffentlichung der Ergebnisse von REPORT MAINZ eine gesellschaftliche und politische Debatte darüber angestoßen wird, wie wichtig uns der Kinderschutz künftig sein soll und welche Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden. Denn so richtig es ist, Einzelfälle, in denen die Wahrung des Kinderschutzes nicht gelang, auf Verantwortlichkeit zu untersuchen, so muss auch ein Bewusstsein dafür vorhanden sein, dass einzelne Mitarbeitende oft nicht die Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen eine Erfüllung ihrer Aufgabe ermöglichen. Das Schlimmste, was in der aktuellen Lage geschehen kann, ist, dass kompetente Mitarbeitende das Berufsfeld verlassen, weil sie die Verantwortung nicht mehr tragen können.
Ansprechperson
Fabienne Christen
Armutsexpertin
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