MACH DICH STARK analysiert den Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung in Baden-Württemberg
Am 5. Mai 2021 wurde der Entwurf zum Koalitionsvertrag 2021-2026 von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg und der CDU Baden-Württemberg vorgestellt. Er wurde am 8. Mai auf den beiden digitalen Parteitagen beraten und beschlossen. Die 17. Landesregierung legt im Koalitionsvertrag „Jetzt für Morgen. Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ auch die Weichen für die Prävention und Bekämpfung von Kinder- und Familienarmut in Baden-Württemberg für die nächsten fünf Jahre. Wir von MACH DICH STARK haben uns den Koalitionsvertrag angesehen (Zitate) und bewertet:
Kinderarmut
„Wir wollen, dass bis 2030 in allen Stadt- und Landkreisen Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut etabliert sind. Bereits bestehende Präventionsnetzwerke wollen wir weiterhin finanziell unterstützen.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Die Koalitionspartner setzen sich beim flächendeckenden Ausbau von Präventionsnetzwerken für die nachhaltige Prävention und Bekämpfung von Kinderarmut ein – über das Strategiejahr „Starke Kinder – chancenreich“ hinaus.
Problemanzeige: Das Engagement des flächendeckenden Ausbaus der Präventionsnetzwerke bis zum Ende der Legislaturperiode wäre wichtig, um die Nachhaltigkeit unabhängig der darauffolgenden Landesregierung sicherzustellen.
„Die Umsetzung der gemeinsamen Erklärung aus der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Kindergrundsicherung werden wir weiter vorantreiben.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Baden-Württemberg hat maßgeblich den Beschluss der ASMK herbeigeführt, eine Kindergrundsicherung auf Bundesebene zu fordern. Im Hinblick auf die anstehende Bundestagswahl und die neue Bundesregierung ist es wichtig, dass Thema Kindergrundsicherung weiter proaktiv voranzutreiben, da es ein wirksames Instrument gegen Kinderarmut ist.
Problemanzeige: Aller Voraussicht nach ist die kommende Bundesregierung offen für die Einführung einer Kindergrundsicherung. Die wesentlichen Säulen müssen ein maximal niedrigschwelliger Zugang, eine bedarfsgerechte und armutsfeste Mindestsicherung sowie eine Teilhabegarantie für alle Kinder sein. Wichtig ist auch die konkrete Ausgestaltung im Hinblick auf Schnittstellen bspw. zum Unterhaltsrecht, Wohngeld etc..
Armutsberichterstattung
„Darüber hinaus werden wir die Armutsberichtserstattung mit dem Gesellschaftsmonitoring sowie dem Landesbeirat Armutsbekämpfung und Prävention fortsetzen und vertiefen.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Für die Armutsberichterstattung im Land sind die von den Koalitionspartnern benannten Elemente (Gesellschaftsmonitoring und Landesbeirat) zentrale Elemente. Eine Fortsetzung und Vertiefung der Arbeit werden daher begrüßt. Insbesondere die Funktion des Landesbeirats muss auf den Prüfstand gestellt werden.
Problemanzeige: Das Gesellschaftsmonitoring ersetzt nicht einen umfassenden Armuts- und Reichtumsbericht. Nach 2015 sollte Baden-Württemberg hier einen zweiten Bericht vorlegen und dabei auch neue Schwerpunktthemen wie bspw. Altersarmut aufnehmen. Auch machen die Auswirkungen der Corona-Krise eine ganzheitliche Befassung notwendig.
Dem Landesbeirat fehlen als reinem Austauschgremium Kompetenzen, um Armut im Land konkret zu bekämpfen. Sinnvoll wäre es, ihn zu einem Gremium mit Steuerungsfunktionen weiterzuentwickeln.
Folgen der Corona-Pandemie
„Um den gesellschaftlichen Folgen der Corona-Krise wirksam und nachhaltig zu begegnen, wollen wir im Landtag eine Enquete-Kommission einrichten, an der neben den zuständigen Landesministerien auch die relevanten Akteurinnen und Akteure aus der Zivilgesellschaft beteiligt werden. Sie hat das Ziel, zur Mitte der 17. Legislaturperiode konkrete Handlungsvorschläge zum Umgang mit den Auswirkungen der Pandemie vorzulegen. Um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, wollen wir dabei besonders die Lebenssituation von Menschen in den Blick nehmen, die überdurchschnittlich unter den Folgen der Pandemie zu leiden haben; dies gilt vor allem für Kinder, Jugendliche und Familien.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 72
Bewertung: Die Koalitionspartner setzen mit einer Enquete-Kommission genau das richtige Zeichen für junge Menschen und ihre Familien, die gerade in Armutslagen die Auswirkungen der Corona-Pandemie besonders deutlich gespürt haben. Die Entwicklungschancen junger Menschen sind durch Fernunterricht, Kontaktbeschränkungen und einem unsicheren Alltag stark eingeschränkt gewesen – die langfristigen Folgen daraus für Bildungsverläufe und -übergänge, psychische Gesundheit, soziale Kompetenzen, etc. gilt es umfassend und nachhaltig zu begegnen.
„Daran anknüpfend wollen wir kurzfristig einen ressortübergreifenden Masterplan entwickeln, um einer Verfestigung bereits eingetretener Corona-Folgeschäden bei Kindern, Jugendlichen und in den Familien entgegenzuwirken. Dieser soll insbesondere ein ambitioniertes Lernlückenprogramm umfassen und Maßnahmen definieren, um die sozial-emotionale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu stärken.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 72
Bewertung: Wir unterstützen ausdrücklich, dass ein expliziter Masterplan entwickelt wird, der nicht nur Lücken in Bezug auf Bildungserfolge und -verläufe schließen soll, sondern auch die sozial-emotionale Entwicklung in den Blick nimmt – junge Menschen sind nicht nur Schüler*innen.
Kinder-, Jugend- und Familienpolitik
„Wir schaffen eine Gesamtstrategie, die Teilhabe und Chancengleichheit für Familien, Kinder und Jugendliche sichert. Dabei vernetzen wir die bestehenden Angebote, identifizieren die Präventionsketten und schließen noch vorhandene Lücken. Zudem verknüpfen wir die Angebote für Familien, Kinder und Jugendliche mit der Quartiersstrategie.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Die Koalitionspartner arbeiten mit den Impulsen aus dem Strategiejahr gegen Kinderarmut „Starke Kinder – chancenreich“ richtig und konsequent mit der Schaffung einer Familienförderstrategie weiter. Neben dem ausdrücklichen Engagement wäre das konkrete Ziel eines Familienfördergesetzes im Sinne eines gesetzgeberischen Vorhabens wichtig gewesen.
Problemanzeige: Die Landesregierung sollte ein Landesfamilienfördergesetz verabschieden, wie dies z.B. zuletzt in Berlin beschlossen wurde. Hierin wäre die finanzielle Ausstattung zu sichern.
„Wir unterstützen Familien in ihrem Alltag, indem wir Kindertagesstätten zu Familienzentren weiterentwickeln und Elternbildung mit dem Landesprogramm STÄRKE weiterführen.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Die Weiterentwicklung von Kindertagesstätten zu Kinder- und Familienzentren ist ein essenzieller Baustein im Engagement gegen Kinderarmut in Baden-Württemberg. Bei der Weiterentwicklung dürfen Mütterzentren und sozialraumorientierte Familienzentren nicht außer Acht gelassen werden.
Problemanzeige: Die Landesregierung sollte eine landesweite Strukturförderung für KiFaZ schaffen. In der Weiterentwicklung von Familienzentren sind die klassischen Formen wie auch Mütterzentren und sozialraumorientierte Familienzentren bedacht werden.
„Als zentrales Instrument der allgemeinen Familienförderung stärken wir die Familienbildung, um Eltern in ihren Beziehungs-, Erziehungs- und Alltagskompetenzen zu unterstützen.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 77
Bewertung: Ausdrücklich wird die Stärkung der Familienbildung unterstützt. Aus unserer Sicht ist dafür die konsequente landesweite Umsetzung der Rahmenkonzeption Familienbildung der richtige und wichtige Weg. Es gilt für die Stärkung der Kompetenzen von Eltern auch die frühen Hilfen weiterhin zu fördern und in die finanzielle Unterstützung der Familienerholung wieder einzusteigen.
Problemanzeige: Die finanzielle Unterstützung von Familienerholung ist in der Legislaturperiode sicherzustellen.
„Der Masterplan Jugend wird mit dem Schwerpunkt Jugendbeteiligung weiterentwickelt und eine für die Beteiligung junger Menschen notwendige Infrastruktur aufgebaut, zu der Beratungs-, Unterstützungs- und Weiterbildungsangebote gehören. Dazu zählt auch die Herabsetzung des Wahlalters auf 16.“
Koalitionsvertrag BW 2021 – 2026, Seite 78
Bewertung: Wir begrüßen ausdrücklich die Weiterentwicklung des Masterplans Jugend mit dem Schwerpunkt der Jugendbeteiligung. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen ist in der UN-Kinderrechtskonvention und im Kinder- und Jugendhilfegesetz rechtlich verankert. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind in Entscheidungen und Prozesse, die ihr Leben bestimmen, einzubeziehen und ihre Mitgestaltung ist zu ermöglichen. Damit machen sie wichtige Erfahrungen für ihre persönliche Entwicklung und für ihr Demokratieverständnis.
Problemanzeige: Die notwendige Infrastruktur ist mit ausreichenden finanziellen Mitteln auszustatten.
Resümee
Viele der Positionierungen von MACH DICH STARK, wie wir sie auch beim Politik im Gespräch (Verlinkung) diskutiert haben, finden sich im Koalitionsvertrag wieder. Wir begrüßen es sehr, dass die künftige Landesregierung die Erkenntnisse, Erfahrungen und Diskussionen aus der Strategie „Starke Kinder – chancenreich“ aufgegriffen hat und verstetigen möchte, wie z.B. Präventionsketten, Landesfamilienförderstrategie, etc. Wir stehen als Netzwerk von MACH DICH STARK für die Ziele der Armutsbekämpfung und -prävention als zuverlässige Partnerin weiterhin zur Seite. Dabei wird es auch wichtig sein, in den nächsten fünf Jahren die Landesregierung in der Umsetzung der Maßnahmen zu unterstützen, denn gerade nach der Corona-Pandemie und mit den klammen öffentlichen Kassen wird um jedes Thema gerungen werden müssen. Eine große Chance kann jedoch auch darin liegen, dass die ressortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Kultus- und Sozialministerium in den kommenden fünf Jahren kooperativer sein dürfte, da an deren Spitze mit Theresa Schopper und Manne Lucha nun zwei ‚Parteifreunde‘ stehen. Wir sehen die Haushaltsrelevanz der Themen rund um Kinderarmut als hoch an, jedoch finden sich auf Fragen der finanziellen Ausstattung oder gesetzlicher Verankerung kaum konkrete Antworten im Koalitionsvertrag. Umso wichtiger ist es, dass wir alle weiterhin als starke Partner für die verbindliche und umfassende Umsetzung der benannten Maßnahmen und ein Baden-Württemberg ohne Kinderarmut aktiv sind.
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