Dossier zur Bundestagswahl I

Wir haben auf dieser Seite in verschiedenen Artikeln gezeigt, wie stark sich die Corona-Pandemiemaßnahmen auf das Leben von jungen Menschen und ihren Familien ausgewirkt hat und auch weiter auswirken. Darunter leiden insbesondere diejenigen, die bereits vor der Pandemie von sozialen Benachteiligungen betroffen waren und dazu zählen vor allem Familien und Kinder, die von Armut betroffen oder bedroht sind.

Umso stärker ist unsere Haltung: Gerade JETZT brauchen junge Menschen und ihre Familien unsere wirksame Unterstützung.

Zur Bundestagswahl stark machen für die Belange junger Menschen und ihrer Familien

Am 26. September findet die Bundestagswahl 2021 statt. Dadurch wird der 20. Deutsche Bundestag für vier Jahre gewählt. Auf Bundesebene werden viele politische Entscheidungen getroffen, die direkten Einfluss auf Armutslagen der Menschen in Deutschland haben, wie z.B. die Regelungen der Grundsicherung. Wir von MACH DICH STARK setzen uns dafür ein, dass die Belange junger Menschen, gerade in Armutslagen, im Wahlkampf öffentlich thematisiert werden und zur Verpflichtung der neuen Bundesregierung werden.

In Baden-Württemberg ist fast jeder 5. junge Mensch unter 18 Jahren von Armut betroffen oder bedroht (19,1 % Armutsgefährdungsquote auf Basis des Landesmedians) (Vgl. S. 11, Bericht zu Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen in Baden-Württemberg). Ein großer Teil der von Armut betroffenen Kinder leben als Teil ihrer Familie in und von der Grundsicherung nach dem SGB II. Von den 434.000 Personen, die sich in Baden-Württemberg im Januar 2020, also vor Corona, in der Grundsicherung befanden, waren knapp 152.000 unter 18 Jahre. Dies ist mehr als ein Drittel. Mehr als 120.000 davon sind jünger als 15 Jahre. Diese Zahlen haben sich durch Corona weiter verschärft. So waren es Ende des Jahres mehr als 131.000 Kinder unter 15 Jahre.

Kindergrundsicherung zur Überwindung der strukturellen Verfestigung sozialer Ungleichheit

Ein mögliches sozialpolitisches Instrument zur Überwindung der strukturellen Verfestigung  sozialer Ungleichheiten von Kinder und Jugendliche stellt die Kindergrundsicherung dar. Hier liegen von verschiedenen Parteien, Verbänden und Experten unterschiedliche Umsetzungskonzepte vor. Die Landesregierung Baden-Württemberg setzt sich auf Bundesebene für eine Kindergrundsicherung ein. „Die Umsetzung der gemeinsamen Erklärung aus der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zur Kindergrundsicherung werden wir weiter vorantreiben“, so ihr Koalitionsvertrag 2021 (Vgl. S. 77, Jetzt für Morgen. Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg).

Ein gemeinsamer Nenner liegt darin, dass die Kindergrundsicherung als pauschale Daseinsfürsorgeleistung jedem Kind das Recht auf eine eigenständige Existenzsicherung anerkennt. Grundsätzlich kann die Kindergrundsicherung ein wirksames Instrument zur Bekämpfung von Kinderarmut und ein Beitrag zur Herstellung von Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit sein. Konzeptionell und strukturell würde die Kindergrundsicherung alle bestehenden familienpolitischen und existenzsichernde Leistungen für Kinder in einer Zuständigkeit bündeln und ein einheitliches Existenzminimum für Kinder und Jugendliche in Deutschland definieren. Auch dies wäre ein Fortschritt zur bestehenden Lage, in der mit den Regelbedarfen für Kinder, Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibeträgen unterschiedliche Standards institutionalisiert sind. Dabei sollte sich die Höhe des Existenzminimums in der Kindergrundsicherung nicht am unteren Bedürfnisrand orientieren, sondern an der durchschnittlichen Lebenslage und den Bedarfen aller Kinder und Jugendlichen.

Kinder als in diesem Sinne eigenständige Rechtsträger zu sehen, führt aber nicht dazu, sie isoliert von ihren Eltern zu betrachten. Diese müssten eingebunden sein, indem sie bspw. den Rechtsanspruch geltend machen. Die Bedarfe von Kindern würden aber mit einer Kindergrundsicherung allgemein und unabhängig vom finanziellen Hintergrund ihrer Eltern anerkannt, sollten aber in einer Abhängigkeit zum Familieneinkommen stehen. Wichtig wäre dabei eine asymmetrische Gestaltung der Kindergrundsicherung, dass also die, die über das Einkommen der Eltern wenig haben am stärksten profitieren. Zudem sollte die Existenzsicherung von Kindern grundsätzlich außerhalb des SGB II verankert werde. Dies würde Kinder einerseits vor der Systemlogik des SGB II schützen und andererseits die Verrechnung möglicher Leistungsansprüche der Eltern von Kindern aus einkommensschwachen Familien verhindern. Eine entsprechend solide Umsetzung der Kindergrundsicherung wäre unseres Erachtens krisenfest und könnte überdies ein wichtiger Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit sein.

Zusammenfassend

Wir sind der Meinung, dass Modelle der Kindergrundsicherung eine wirksame Bekämpfung gegen Kinderarmut darstellen, wenn sie

Eine dringend erforderliche Reform des SGB II

Eine Reform des SGB II ist dringend erforderlich und sollte umgehend auf den parlamentarischen Weg gebracht werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 05.11.2019 entschieden, dass Sanktionen gegen Hartz IV-Empfängerinnen und Empfängern teilweise verfassungswidrig sind. Die Grundsicherung ist der Menschenwürde nach Art 1 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet und muss daher das Existenzminium sichern. Verbunden mit dem Urteilsspruch ist der Auftrag an den Gesetzgeber, die rechtlichen Grundlagen für die Sanktionspraxis neu zu regeln. Insbesondere junge Menschen dürfen nicht durch Sanktionen aus der Förderung gedrängt werden. Wir sind der Auffassung: Sanktionierung hat keinen veritablen positiven Einfluss auf die Integration in Arbeit und sollte, insbesondere für die unter 25-Jährigen, abgeschafft werden. Hierfür ist eine Reform des Sanktionsrechts dringend erforderlich

Handlungsbedarf besteht auch bei der Neubemessung der Regelbedarfe und der Festlegung von Angemessenheitskriterien der Kosten und Unterkunft. Solange keine einheitliche Lösung im Sinne einer Kindergrundsicherung gefunden ist, müssen die Regelsätze für Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene im SGB II neu berechnet und angehoben werden, um tatsächlich das soziokulturelle Existenzminimum abzusichern. Die Grundlage für die Berechnung der Regelsätze bildet die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Im Grundsatz ist sie zwar ein geeignetes Mittel, um die Bedarfe in der Grundsicherung zu berechnen, allerdings ist das Berechnungsverfahren sowie die Referenzgruppe deutlich zu überarbeiten und insgesamt transparenter und bedarfsgerechter zu gestalten. Beispielsweise sind Haushalte von verdeckt Armen, also Personen, die trotz Anspruch keine Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen, aus der Referenzgruppe herauszurechnen. Auch sollte das Konsumniveau sich, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, viel stärker am Lebensstandard von Gleichaltrigen aus der gesellschaftlichen Mitte orientieren. Willkürliche Abzüge von den Konsumausgaben der Vergleichsgruppe sind auszuschließen.    

Die Kosten der Unterkunft sind in vielen Fällen nicht bedarfsdeckend. Eines Mangel an bezahlbarem Wohnraum in vielen Städten und Ballungszentren macht es gerade für Menschen im Grundsicherungsbezug besonders schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden – auch und gerade in Baden-Württemberg. So verschärfen sich die Notlagen der von Armut Betroffenen. Ebenfalls nicht bedarfsdeckend ist der Regelsatzanteil für Stromkosten. In beiden Fällen muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass die Kosten in tatsächlicher Höhe getragen werden.

Kinderrechte gehören ins Grundgesetz

Auch 30 Jahre nach der UN-Kinderrechtskonvention ist das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz in Deutschland weiter höchst umstritten. Nachdem der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD deren explizite Verankerung proklamierte, legte die Bundesregierung im Januar 2021 einen Gesetzesentwurf vor – doch mit diesem Vorhaben ist sie erstmal gescheitert. 

Der Gesetzesentwurf wurde von allen Seiten kritisiert, einigen ging er nicht weit genug, andere sahen dafür keine Notwendigkeit oder kritisierten die Schwächung des Elternrechts. 

Grundsätzlich hat die Corona-Krise gezeigt, dass trotz erheblicher Einschränkungen von Kinderrechten, wie die Schließung von Bildungseinrichtungen, die Interessen und Belange junger Menschen im politischen Entscheidungsprozess viel zu wenig berücksichtigt wurden und werden. Daher braucht es in Deutschland eine deutliche Stärkung von Kinderrechten und wir von MACH DICH STARK setzen uns dafür ein, dass diese explizit im Grundgesetz verankert werden. Daher hoffen wir, dass das Anliegen auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung festgeschrieben wird. Hier gilt es dafür einzutreten, dass ein neuer Anlauf tatsächlich der UN-Kinderrechtskonvention gerecht wird.

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